Ziel lautet "ganz nach oben"
Geschrieben von
y4u am
Donnerstag, 23. Dezember 2010
HANDBALL: Interview Herbert Müller (Thüringer HC)
Erfurt. (23.Dez.10/ Bernd Hohnstein) EM-Pause, für die Fans des Thüringer HC bedeutet das eine lange Zeit ohne Bundesligahandball in der Salza-Halle, für die Nationalspielerinnen des Teams allerdings gab es zwei absolute Höhepunkte des Wettkampfjahres, Pearl van der Wissel und Danick Snelder standen im Team der Niederlande bei der EHF-EURO 2010 währens Petra Blazek, Katrin Engel und Petra Popluharova mit den Mannschaften Österreichs und der Slowakei in Polen um die WM-Vorqualifikation gegen starke Gegnerschaft antreten mussten. Herbert Müller lebte dadurch in den letzten Wochen fast nur "aus dem Koffer". Nach der WM-Qualifikation mit dem österreichischen Nationalteam, stand für ihn eine Visite zur EHF-EURO 2010 auf dem Programm. Zu einem solchen Top-Höhepunkt muss ein Bundesligatrainer einfach vor Ort sein, lautet seine Maxime. Bis zum Dienstag trainierte er jetzt das THC-Damenteam und stand uns zwischen Sponsorenterminen bereitwillig zu diesem Interview zur Verfügung. Wir wollten von ihm wissen, welche Erkenntnisse die EM-Spiele für ihn gebracht haben und wo er zum aktuellen Zeitpunkt sein THC-Team sieht.
Herbert, was macht für Sie aktuell das europäische Spitzenniveau aus?
Das faszinierende ist die physische Entwicklung. Ähnlich wie im Männerbereich haben die Spitzenteams Weltklassetorhüterinnen und haben sehr viel Wert auf den Defensivbereich gelegt. Die Mannschaften mit dem besten Deckungsverband sind letztlich auch oben gewesen. Mannschaften wie Norwegen und Dänemark, die eine sehr aggressive und kompakte Deckung gespielt haben, sind aus dieser Deckung heraus in ein schnelles Konterspiel, erste und zweite Welle gekommen. Mit einem unglaublichen Tempo war das die Basis für eine Spitzenpostion bzw. Medaille. Die Medaillengewinner hatten Führungspersönlichkeiten, die ihre Mannschaften mitgerissen haben. Eine Gro Hammerseng bei Norwegen, eine Cristina Neagu bei Rumänien um nur zwei zu nennen, haben hier absolute Führungsqualitäten bewiesen, ihr Team geführt und die Zuschauer begeistert.
Wie schätzen Sie das Abschneiden des niederländischen Teams ein, in dem ja zwei THC-Damen standen?
Die Niederlande waren sicherlich eine der positiven Überraschungen der EM. Es war nicht zu erwarten, dass sie um die Plätze 7 und 8 spielen können. Das hat mich natürlich gefreut, da wir ja persönlich beteiligt waren. Pearl van der Wissel und Danick Snelder haben sich super in das niederländische Team eingebracht, das auch als solches aufgetreten ist. Das war letztlich auch der Schlüssel zum erfolgreichen Abschneiden. Es fiel auf, dass die Mannschaft im Vordergrund stand, dass alle eingesetzten Spielerinnen zu 100% mit dem identifiziert haben, was da passiert ist und unsere beiden Mädels waren ein wichtiger Teil des Ganzen. Danick war bei ihrem ersten internationalen Großereignis voller Lerneifer bei der Sache, ist erfolgreich in das "kalte Wasser" gesprungen und hat sich freigeschwommen. Pearl musste eine Führungsrolle übernehmen, hat das auch getan, aber der Schlüssel zum Erfolg der Niederlande war die Mannschaft.
Was hat Sie neben den Spielen besonders beeindruckt?
Diese EM, von Dänemark und Norwegen gemeinsam ausgerichtet, hat auch in Sachen Organisation und Medieninteresse überzeugt. Die Veranstalter taten alles, damit Besucher und Aktive sich wohlfühlen konnten. Die hohe Zuschauerpräsenz, in der Spitze mehr als 12.000 Zuschauer, und die Präsentation in den Medien, speziell auch im Internet, bildeten einen würdigen Rahmen für dieses Handball-Event.
Sie waren ja mit dem österreichischen Nationalteam kurz vor der EM eine wichtige Qualifikation spielen. Wie bewerten Sie das dortige Abschneiden?
Ich muss sagen, dass wir unser Ziel verfehlt haben und die polnische Auswahl sich mit den besten Leistungen im eigenen Land verdient qualifiziert hat. Unser Problem war, dass wir zwei für das Team sehr wichtige Top-Spielerinnen, Stefanie Subke und Simona Spiridon nicht aufbieten konnten und auch Gorica Acimovic verletzungsbedingt nur sehr kurze Einsatzzeiten erhielt. Petra Blazek und Katrin Engel erfüllten ihre Aufgaben sehr gut, zeigten Führungsqualitäten. Auch die dritte THC-Spielerin Petra Popluharova konnte im Team der Slowakei überzeugen. Sie wurde mit 31 Treffern beste Turniertorschützin, gefolgt vom Katrin Engel mit 29. Ich bin soweit nicht enttäuscht, sondern gebe dem Team, das im eigenen Land ja keine leistungsstarke Bundesliga hat, durchaus eine Entwicklungschance. Wir wollen das junge Team weiter stabilisieren und warten schon gespannt auf die Auslosung für die nächste Europameisterschaft.
Wie schätzen Sie mit etwas Abstand zum letzten Bundesligaspiel die Entwicklung Ihres Vereinsteams des Thüringer HC ein?
Der bisherige Saisonverlauf hat mich schon etwas überrascht. Wenn man zehn neue Spielerinnen hat, braucht man einfach Zeit eine richtige Mannschaft zu formen, damit die Automatismen so greifen, wie man sich das als Trainer vorstellt. Nach einem schlechten Spiel gegen Bad Wildungen, vor dem wir kein Balltraining hatten, sind wir sehr schnell in der Vorbereitungsphase auf ein ziemlich hohes Niveau gesprungen, und haben dieses Niveau auch Anfang der Saison gehalten. Dass zwischendrin mal ein Einbruch kam, finde ich ganz normal. Wenn man nach elf Vorrundenspielen mit zehn Siegen Herbstmeister geworden ist, muss man wohl ein positives Fazit ziehen. Allerdings ist dieser Integrations- und Findungsprozess aus meiner Sicht bei weitem noch nicht abgeschlossen. Wir werden sicherlich noch Spiele verlieren. Wichtig wird für uns sein, dass wir zum richtigen Zeitpunkt in den PlayOffs wieder unsere Top-Form finden. Dass die Mannschaft auf einem sehr, sehr hohen Niveau sehr guten Handball bieten kann, das hat man gesehen. Ich werde trotzdem nicht von den Zielen abweichen. Für uns ist es jetzt wichtig, eine Grundlage für die nächsten Jahre zu legen, damit wir viel Spaß am Spitzenhandball haben. Zu schnelle Erfolge, die zu früh kommen, sind manchmal auch nicht das Richtige. All das was uns bleibt, werden wir allerdings sehr gern mitnehmen.
Sie sagen es, das Team hat selbst die Messlatte sehr hoch gelegt. Besteht nicht die Gefahr, dass Nachwuchstalente in den nächsten Spielen nicht genügend zum Einsatz kommen, sich nicht genügend entwickeln können?
Wir haben durch die sehr frühen Erfolge eine Euphorie ausgelöst, die in einem solchen Maß nicht zu erwarten war. Natürlich versucht man, wenn man vorne ist, auch vorn zu bleiben, das gibt man doch nicht freiwillig her. Trotzdem darf man nicht vergessen, dass wir diese Talente im Hintergrund haben, die ihren Weg gehen müssen. Ich bin überzeugt, dass z.B. Shenia Minevskaja das schaffen wird. Ich finde es gut, wenn dieser Weg nicht über einen roten Teppich geht, der zu leicht ist, sondern dass man sich seine Spielanteile erkämpfen muss. Einerseits können junge Talente bei einem schwächeren Bundesligisten schneller Fuß fassen, auf der anderen Seite glaube ich aber, dass Spielerinnen, die zu wirklich großen Leistungen fähig sind, sich auch bei absoluten Top-Teams durchsetzen können. Die können uns dann vielleicht auch mal später international weiterbringen. Das ist ein Ziel, das eine Spielerin wie Shenia Minevskaja haben muss und ich bin sicher, dass sie sich ihre Spielanteile erkämpfen wird. Wir haben einen breiten Kader, wo sicher für die ein oder andere Spielerin momentan die Spielanteile ein bisschen zu kurz kommen. Aber wir sind in einer leistungsorientierten Bundesliga, wir wollen Profihandball bieten und da ist der Weg für die Einzelne nicht immer leicht.
Herbstmeister der Liga, dritter Platz der Mannschaft bei der Erfurter Sportlerwahl, Kerstin Wohlbolds Auszeichnung als "Thüringer Sportlerin des Monats November", wie bewerten Sie diese Erfolge?
Die sportlichen Erfolge bringen natürlich auch das öffentliche Interesse mit sich. Die Herbstmeisterschaft, auch wenn sie inoffiziell ist, ist eine schöne Bestätigung der Arbeit des ersten Halbjahres. Auch der dritte Rang bei der Erfurter Sportlerwahl ist für uns nur eine Zwischenstation, wir wollen nächstes Jahr Erster werden. (lacht) Unser Ziel lautet "ganz nach oben", nichts anderes. Das Kerstin Wohlbold, die Mannschaftsführerin unseres Teams, so eine Auszeichnung bekommt, ehrt uns besonders. Wir werden alle gemeinsam auch diesen goldenen Helm verspeisen, weil ich denke, dass der Erfolg eines Einzelnen in einem Mannschaftsverband auch von der Stärke des Teams zeugt. Eine richtig gute Spielerin kann sich nur in einem intakten Umfeld entwickeln. Kerstin ist momentan der Dreh- und Angelpunkt unseres Spiels, sie marschiert vorne weg, sie ist ein würdiger Kapitän und ich hoffe, dass sie uns zu den angestrebten Erfolgen führen kann.
Nach dem Ausscheiden unserer Nationalmannschaft bewegt uns die Frage: Wie geht es weiter mit Kerstin Wohlbold und Nadja Nadgornaja im Kaderkreis der DHB-Auswahl?
Ich meine, dass es nach dem Ausscheiden der Nationalmannschaft ganz wichtig ist, die Reihen zu schließen und alles daran zu setzen, dass das Aushängeschild für unsere Sportart so schnell wie möglich aus dieser Krise herauskommt. Ein Schulterschluss mit dem Trainer Rainer Osmann ist gefragt. Ich habe mit ihm telefoniert und ihm versichert, dass wir hinter dem Gesamtprojekt stehen und mithelfen wollen, damit die Nationalmannschaft aus dem Tief herauskommt, sich für die WM und Olympischen Spiele qualifizieren kann. Kerstin Wohlbold hat sofort signalisiert, dass sie im Falle einer Einladung ins A-Team, alles daran zu setzen, dass diese Ziele erreicht werden. Das gilt perspektivisch auch für Nadja Nadgornaja, die für mich die positivste Überraschung der Vorrunde war. Sie hat im Verein eine positive Entwicklung gemacht, ist zur Leistungsträgerin avanciert und sollte in der Lage sein, das auch international nachzuweisen, wenn sie gebraucht wird.
Die THC-Fangemeinschaft hat "ihre" Mannschaft zur Jahresabschlussfeier eingeladen. Werden Sie dabei sein?
Die Unterstützung die wir erfahren, diese Euphorie, die auch von den Rängen rüberkommt, kann die Mannschaft auf eine Erfolgswelle bringen, auf der wir natürlich so lang wie möglich schwimmen wollen. Wir sind unseren Fans unheimlich dankbar. Sie peitschen uns nach vorne, in guten aber auch in schlechten Momenten des Spiels. Es ist einfach gut zu wissen, hier stehen über 1000 Leute hinter Dir, bei jedem Spiel, egal ob du gut oder auch schlecht spielst und du hast einfach das Gefühl, es ist eine Wand, an die du dich anlehnen kannst, die dir einfach hilft. Ich kann nur ein Riesenlob an diese Fangemeinschaft aussprechen. Ich habe so etwas noch in keiner anderen Halle erlebt. Und es ist uns eine Freude, die Einladung zum 27. Dezember anzunehmen und den Fans etwas zurückzugeben. Wir können ihnen zeigen, dass wir wissen, was wir an ihnen haben und wie wichtig sie für uns sind.
Was sind für den Vereinstrainer Herbert Müller die bisher negativsten Erlebnisse seiner "Thüringer Zeit"?
Die größte Enttäuschung der Hinrunde waren sicherlich die Anfeindungen, die dem THC, aber auch meiner Person gegenüber gemacht worden sind. Das war für mich teilweise unfassbar, weil ich denke, wir sollten die Antworten auf dem sportlichen Sektor geben und da hat unsere Herbstmeisterschaft gezeigt, dass wir uns auf das konzentrieren, was wichtig ist : "Die Antwort auf dem Platz." Wir haben die meisten Punkte und das soll alles sagen. Ich finde es sehr schade, dass es immer wieder Heckenschützen gibt. Jeder sollte auf sich schauen, ich weiß, dass ganz viele Vereine in der Bundesliga Riesenprobleme haben. Wir sind eine kleine "Gemeinde" und alles spricht sich rum. Ich weiß von Vereinen, die monatelang mit den Gehaltszahlungen im Rückstand sind und die bei weitem nicht die Überprüfung erfahren, wie sie der THC monatlich erfahren muss, mit dem Einschicken von Verträgen, mit den ständigen Kontrollen. Vielleicht sollte es möglich sein, eine einheitliche Regelung für alle Bundesligavereine zu finden. Natürlich ist eine wirtschaftlich gesunde Bundesliga die Voraussetzung für den sportlichen Erfolg. Ich muss sagen, wie die sportliche, so ist auch die wirtschaftliche Lage beim THC mehr als solide. Es musste bisher keine Spielerin auch nur an einem Tag auf etwas warten oder verzichten. Dafür gilt noch einmal unser Dank dem Vorstand und der gesamten Vereinsführung.
23.Dez.10 / Bernd Hohnstein